Lenka Reinerová

Lenka Reinerová


Literatur, das ist eben diese Art, das wirkliche Leben darzustellen. Das ist alles


Leseprobe


Soll ich ein Taxi nehmen? Nein, ich wähle die Strassenbahn, Linie 9, stadtauswärts, um zu Lenka Reinerovás Wohnung in der Pleniska Strasse zu gelangen. 


In bekannten wie in fremden Städten wähle ich immer dieses alte Verkehrsmittel, wenn vorhanden, um eine größere Nähe zu den Orten und ihren Menschen zu gewinnen. Die Geographie der Stadt ist besser erkundbar. Und sie rattern auch so schön diese Bahnen, machen Geräusche und bimmeln, als alte Vehikel der Schiene. 


Alte Häuser steilgegegiebelt

Hohe Türme voll Gebimmel

In die engen Höfe liebelt

Nur ein winzig Stückchen Himmel“ 

Rainer Maria Rilke



Man atmet das alltägliche Leben der anderen mit ein. Teilt ihre Gerüche und Geschmäcker, abzulesen zum Beispiel an ihrer Kleidung.


Über der „böhmischen Volkes Weise“


„Magst du auch sein

weit über Land gefahren

fällt es dir doch nach Jahren

alles wieder ein.“

Rainer Maria Rilke


Prag ist die Stadt mit „poetischer Lizenz“ (Egon Erwin Kisch). Am Vormittag habe ich mit dem literarischen Reiseführer „Prag“ von Hans Zimmermann, dem Berliner Literaturwissenschaftler, einen ausführlichen Rundgang durch die Goldene Stadt absolviert, in der es „brodelt“ „werfelt“ und „kischt“, aber die Geschichte der tschechischen Literatur reicht ja doch weiter zurück als nur bis in die Anfänge des letzten Jahrhunderts. 


Ins 9. Jahrhundert, als die Schriftdenkmäler entstanden sind, in altkirchen-slawisch verfaßt, bis ins 11. und 12. Jahrhundert, als böhmische Glossen in lateinischer und hebräischer Handschrift erscheinen. Um 1300 herum entwickelt sich dann die eigentliche böhmische Literatur, mit den epischen Kompositionen in Versen, den Chroniken, Liedern und Legenden, den Traktaten und Postillen aus der Jan Hus - Zeit im 15. Jahrhundert. Jiri Melantrich, Lutheraner und Freund Melanchthons, gilt als Begründer der tschechischen Buchdrucktradition. In Ihrem Buch „Es begann in der Melantrichgasse“ hat Lenka Reinerová darüber geschrieben. Ihre erste eigene Wohnung lag in der Prager Melantriska Nummer 7, dort wo die Kischs ein paar Häuser weiter wohnen, der im französischen und mexikanischen Exil ihr Freund und Förderer wird. 


Norbert Schreiber Närrisch an das Leben glauben Lenka Reinerová im Gespräch mit Norbert Schreiber in der Reihe GEHÖRT GELESEN Wieser Verlag mit AUDIO CD hr2 Kultur


Zum Buch


Lenka Reinerová war die letzte lebende Kronzeugin der Prager deutschsprachigen Literatur aus der Generation Franz Kafka, Max Brod, Egon Erwin Kisch. Sie war Tschechin, Deutsche, Jüdin und bekennende Europäerin in einer Person, mit einem unerschütterlichen Glauben an das Gute, an die Gleichheit und die Gerechtigkeit. Sie hat die letzten Tage Habsburgs erlebt, Masaryks Erste Republik, die deutsche Besatzung, die erstarrten Jahre im Kommunismus und das Scheitern des »Prager Frühlings«, die samtene Revolution und heute den von ihr nicht gerade geliebten Kapitalismus. Der Radiojournalist Norbert Schreiber (Hessischer Rundfunk) besuchte die Literatin, die in den kulturellen Zirkeln der 20er und 30er Jahre in Prag ein und aus ging, von den Nazis und Kommunisten verfolgt, als Exilantin eine Irrfahrt rund um Welt erlebte. Lenka Reinerovä starb am 27. Juni 2008 im Alter von 92 Jahren in Prag. Mit ihrem Tod ist diese Epoche der 20er und 30er Jahre in Prag aus dem Leben in die Bücher versunken. Ihre Stimme erklingt im »Prager Deutsch« Ein letztes Dokument aus einer untergegangenen Welt.



Lenka Reinerová, die „Grande Dame“ der Prager deutschsprachigen Literatur, ist im Alter von 92 Jahren verstorben. Nach einem bewegten Leben, als Exilantin ständig auf der Flucht, hat die Autorin auch internationale Anerkennung erhalten. Lenka Reinerová ist im Prag der 30er Jahre aufgewachsen. Das multikulturelle Prag des deutschen, jüdischen und tschechischen Zusammenlebens hat sie geprägt.


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Norbert Schreiber/Lenka Reinerová Närrrisch an das Leben glauben Wieser Verlag Klagenfurt


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